wolfgang tragseiler
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Foto. Daniel Jarosch
Love Sequence
30.01. -10.02.2015 Maria-Theresien-Strasse, Innsbruck, Kunst im öffentlichen Raum Tirol
Close-ups von intensiven Blicken und unmittelbaren Emotionen überhöht durch theatralische Lichteffekte und romantische Musik – das sind die dramaturgischen Stilmittel, wie wir sie aus romantischen Komödien und Melodramen kennen. Prototypisch für das Genre Liebesfilm ist alles, was hemmungslos auf die Emotionalisierung des Publikums abzielt und die Zuseher_innen sind nicht nur darauf konditioniert, diese konventionalisierten Formen und Muster zu identifizieren, sondern sehnen sich sogar danach. Sie tun dies in dem Bewusstsein, dass es sich um Idealtypen handelt, die durch den Einsatz dramaturgischer Mittel generiert werden und der Realität selten entsprechen. Dennoch bewirkt es Gefühle von Romantik bei den Zuseher_innen – ein Phänomen, für das der Philosoph Robert Pfaller den Begriff er Interpassivität geprägt hat - das Delegieren von Genuss an die Technik. Dies gilt für Film und Fernsehen ebenso wie für soziale Netzwerke, die es uns ermöglichen, tatsächliche soziale Interaktion auf interpassive Verhaltensweisen zu reduzieren.
Mit Love Sequence hat Wolfgang Tragseiler eine temporäre Installation entwickelt, die das prototypische Setting eines Liebesfilms in den öffentlichen Raum transferiert. Mittels Tracking-System und Wärmebildkameras werden zwei beliebige Passant_innen, die einander auf der Straße entgegenkommen, ausgewählt. Vier Scheinwerfer, deren „schmeichelnde“ Lichtkegel den beiden Personen folgen, werden aktiviert, aus versteckten Boxen ertönt „romantische“ Musik – eigens für diesen Anlass komponiert. Das Ansteigen der Lautstärke verstärkt die Dramatik dieses Moments, doch kurz bevor die beiden Personen tatsächlich aufeinander treffen, bricht die Inszenierung abrupt ab.
Die grundlegende Manipulation dieser Inszenierung besteht in der Übertragung einer vornehmlich privaten und intimen Situation in den öffentlichen Raum - auf Personen, die sich ihrer Rolle zunächst nicht bewusst sind. Die passive und objektive Wahrnehmung der Film- oder Fernsehzuseher_innen wird durch die Teilhabe an einer „unfreiwilligen Performance“ in eine partizipative, subjektive verkehrt. Love Sequence stellt die Fiktion anhand der Realität auf die Probe; generieren die Techniken filmischer Illusion auch in Wirklichkeit Gefühle, wie sie uns die Filme glauben machen? Natürlich führt die Dramaturgie dieses weniger vom Schicksal als von der Technologie veranlassten Aufeinandertreffens von zwei Menschen nicht zu jenen Reaktionen, von denen uns üblicherweise die Filmindustrie durch den Einsatz solch dramatischer Effekte zu überzeugen versucht. Diese Illusion wird entlarvt bzw. unser Glaube daran entkräftet. Es entsteht ein Moment der Irritation, ein Innehalten in der Bewegungsdynamik oder sogar eine Komplizenschaft der beiden unfreiwilligen Protagonist_innen. Auf alle Fälle entsteht ein Raum, der ein Potenzial für Kommunikation und Interaktion öffnet.
Der öffentliche Raum hat sich zusehends eben von jenem Ort der Kommunikation und Interaktion zu einem Transitraum entwickelt. Häufig hasten wir von einem Punkt zum nächsten ohne unsere Umgebung noch aktiv wahrzunehmen. Verstärkt wird diese Tendenz durch den permanenten Kontakt zum Internet und zur virtuellen Realität der Sozialen Medien, die unsere Aufmerksamkeit von der uns umgebenden realen Welt abziehen. Wir ziehen diese „neuen Öffentlichkeit“ des Internets dem sozialen und politischen Handlungsspielraum einer tatsächlichen Öffentlichkeit vor. Infolge der Sicherheitsdiskussion in den westlichen Ländern und der fortschreitenden Technisierung breitet sich eine erschreckende Internalisierung von Überwachungsimperativen im Bezug auf den virtuellen ebenso wie auf den öffentlichen Raum aus. Unter dem Vorwand, „Sicherheit“ zu gewährleisten, sind wir permanenter Überwachung, Kontrolle und Reglementierung ausgesetzt. Wir erklären uns mit diesen Überwachungs-prozeduren einverstanden, indem wir unsere Daten bereitwillig zu Verfügung stellen und die allgegenwärtigen Videoüberwachungssysteme nicht einmal mehr registrieren. Ein Umstand, dem Wolfgang Tragseiler mit Love Sequence ebenfalls Rechnung trägt, wenn auch mit einem Augenzwinkern, da die Technik dieser künstlerischen Intervention zwar auf jener von Überwachungssystemen basiert, aber buchstäblich, indem sie enttarnt und sichtbar gemacht wird, entwaffnet. In diesem Sinne ist Love Sequence eine Aufforderung, über die Bedingungen des öffentlichen Raumes nachzudenken.
Text von Georgia Holz
Technische Umsetzung:
Strukt (Thomas Hittaler, Achim Stromberger & Lukas Seiler)
Musik:
Weitere Unterstüzer*innen:
Prof. DI. Christian Aste, Mag. Ingeborg Erhart, Dr. Alexander M. Pflaum, Markus Renk